Urlaub in Kassel, der Beinahe-Hauptstadt

Wer Kassel sagt, muss auch Documenta sagen. Die hunderttägige Kunstausstellung hat die nordhessische Stadt international bekannt gemacht. Ehrgeizig war Kassel schon immer - 1949 bewarb sich es als Deutschlands neue Hauptstadt. Heute ist sie immerhin die europäische Hauptstadt der Waschbären.

Die documenta findet nur alle fünf Jahre statt, doch einige der Werke der Ausstellung gehören mittlerweile zum Stadtbild. So pflanzte Josef Beuys 1982 für sein Projekt "7000 Eichen - Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung" überall in Kassel Bäume. Wenn die Kasselaner "s reint!" ("Es regnet!") sagen, ist es Zeit für einen Besuch in einem der vielen Museen. Die Landgrafen und Kurfürsten von Kassel waren eifrige Kunstsammler - die Auswahl an Galerien ist groß. Das Fridericanum am Friedrichsplatz gilt als erster öffentlicher Museumsbau und zeigt zeitgenössische Kunst. Ganz neu ist dagegen die Grimmwelt, ein Ausstellungshaus, in dem sich alles um die beiden Märchensammler dreht. Die trafen in Kassel auf Dorothea Viehmann, von der 40 Märchen aus der Geschichtensammlung stammen.

Bei schönem Wetter lassen sich Natur und Kultur im Burgpark Wilhelmshöhe verbinden. Ganz oben steht das Kasseler Wahrzeichen, die Herkules-Statue, denn die Entstehung des Parks wäre eine Aufgabe für den antiken Helden gewesen. 2,4 Quadratkilometer ist die barocke Anlage groß und für die spektakulären Wasserspiele bekannt. Allein durch die Schwerkraft stürzen hier zwei Mal die Woche 350.000 Liter Wasser über Kaskaden, Wasserfälle und ein Aquädukt und enden in einer riesigen Fontäne - ganz ohne Pumpen und Strom, genauso wie Landgraf Karl sich das vor 300 Jahren erträumte. Die Antikensammlung und alte Meister lassen sich im Museum im Schloss Wilhelmshöhe am Parkeingang besichtigen.

Was hat es nun mit den Waschbären auf sich? In den 1930igern wurden am nordhessischen Edersee amerikanische Waschbären ausgesetzt. Die fühlten sich in Nordhessen offenbar pudelwohl: Heute hat Kassel die höchste Waschbärenbevölkerung Europas. Sie werden mittlerweile nicht mehr gejagt und gelten als einheimisch.

Kassel liegt in der Mitte Deutschlands. Die hessische Stadt ist weit entfernt von der Nordsee, trotzdem können Sie hier baden wie in den Wellen des Meeres, denn das gute Thermalwasser aus den Tiefen des Bodens hat eine ähnliche Zusammensetzung wie das der Nordsee. Statt Sandpeeling und steifer Brise bietet die Kurhessen Therme entspanntes Saunieren, spaßiges Schwimmen und endloses Träumen.

2023 feiert die Kurhessen Therme im Kassler Ortsteil Wilhelmshöhe ihr 40. Jubiläum. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts sprudelte hier gesundes Wasser aus dem Boden, 1979 wurden neue Bohrungen durchgeführt, vier Jahre später eröffnete die Therme dank privater Investitionen. Rechtzeitig zum runden Geburtstag bekam der Wellnesstempel noch mal eine Beautykur in Form einer Renovierung. Wer hier eintritt, darf den Alltag gerne im Spind einschließen und sich ganz der Erholung hingeben.

Zum Abtauchen geht es hinein in das 31 bis 37 Grad warme Thermalsolewasser der Innenbecken. Wasserstrahl-Massage-Duschen, Boden- und Sitz-Sprudler sorgen für prickelnde Gefühle und dank vier Hot-Whirlpools werden Muskeln und Seele gewärmt und gelockert. Ohne das Becken zu verlassen, können Sie nach draußen schwimmen und von Felsen umrahmt relaxen, sich durch den Strömungskanal mitziehen lassen oder unter Wasserkaskaden stehen. Apropos Wasserspiele – damit kennt man sich in Kassel ja aus, siehe Bergpark Wilhelmshöhe. In der Kurhessen Therme wurde als neue Wasserattraktion ein Geysir gebaut – das sieht man auch nicht alle Tage.

Zum ultimativen Entspannungstag gehört auch ein Besuch in der Sauna. In der Kurhessen Therme haben Sie die Wahl zwischen acht verschiedenen Themen-Saunen. Für Saunaanfänger oder Wellnessfans ist die Lichtsauna besonders geeignet: Mit Temperaturen von 45 Grad ist die Hitze eher mild, dafür trägt die Farbe des Lichts zum Wohlbefinden bei. Blau entspannt und hilft bei Schlafstörungen, Grün wirkt sich positiv auf die Lungenfunktionen aus, Rot regt die Durchblutung an und vitalisiert. Natürlich geht es auch wärmer: Die „Backstube“ und die „Sauna zum heißen Stein“ sind 80 bis 100 Grad heiß. Ganz neu seit der Renovierung 2022 ist die Lehmsauna, die Platz für 70 Besucher hat. Hier finden regelmäßig Aufgüsse statt. Die Orientalische Sauna ist eine reine Frauensauna, auch mit regelmäßigen Aufgüssen. Kein Saunagang ohne Erfrischung: Der Saunasee kühlt die Haut wieder runter und kickt das Immunsystem. Nach diesem Wechselbad ist Ruhe angesagt. Ausklingen darf der Wellnesstag in der Traumwelt 1001 Nacht, ein zauberhafter Rückzugsort voller Farben und Düfte. Dank Warm-, Heißluft- und Dampfbädern, Thermalsole- und Kaltwasserbecken, Dufträumen und einem Hamam- und Massagebereich sind die Möglichkeiten der Entspannung so vielfältig wie verlockend. Eines ist aber sicher: Stress, Verspannung und Alltagssorgen bleiben zurück, wenn Sie die Kurhessen Therme verlassen.

Gut 30 Jahre verbrachten Jakob und Wilhelm Grimm in Kassel. Sie sammelten akribisch Worte und Geschichten, schufen einen der größten deutschsprachigen Bestseller: die "Kinder- und Hausmärchen". Das vielschichtige Werk der Brüder zeigt die 2015 eröffnete Grimmwelt, ein 20 Millionen teurer Neubau, in dem auch Unartiges getauscht werden darf: Schimpfworte.

Die Neue Galerie in Kassel gab schon vielen Kunstwerken den Platz zu glänzen. Besonders beliebt ist das Kunstmuseum alle fünf Jahre, wenn die documenta eröffnet und die ganze Kunstwelt nach Hessen blickt. Doch auch zwischen den documenta-Jahren lohnt sich ein Besuch.

Die damalige Gemäldegalerie steht seit 1877 an der sogenannten „Schönen Aussicht“ zwischen Rathaus und Karlsaue. Das Gebäude hat einiges mitgemacht – im Zweiten Weltkriege wurde es von Brandbomben fast zerstört und erst 1976 offiziell als Neue Galerie eröffnet. Dafür richtete Künstler Joseph Beuys einen eigenen Raum mit seinen Werken ein, bis heute das Herzstück des Museums. Danach wurde immer wieder gewerkelt bis die Neue Galerie 2011 endgültig saniert neu eröffnet wurde. Sehr zur Freude der Kassler präsentiert sich das Gebäude innen in frischem Weiß mit großzügigen Räumen, interessanten Einblicken und Durchbrüchen.

Schon in den 60er Jahren wurde das unsanierte Gebäude von der documenta beschlagnahmt, denn das Fridericianum war schon bei der documenta 3 zu klein. Zuerst wurden nur einzelne Räume genutzt, um Kunstwerke zu präsentieren, doch in den letzten Jahren wurde sogar das Gebäude an die Ausstellung angepasst: Wände und Böden wurden grün gestrichen, die Beleuchtung gedimmt, sodass die Räume sehr viel dunkler und stimmungsvoller wirkten. Jeder Künstler bekam einen Raum, eigentlich entgegen dem Konzept der documenta, bei der großräumige Zusammenstellungen von verschiedenen Künstlern im Vordergrund stehen.

Doch auch nach der documenta: Die Kunst bleibt in Kassel – zumindest teilweise. Seit 1982 werden von der Neuen Galerie ausgewählt Kunstwerke angekauft. So gibt es neben Gemälden, Skulpturen und neuen Medien in Sonderausstellungen auch die Dauerausstellung „about:documenta“ zu sehen. Hier tauchen Sie in die berühmteste Kunstausstellung der Welt ein. Jedes Ausstellungsjahr ist dokumentiert und durch ein Kunstwerk symbolisch dargestellt. Für die documenta 15 sind das Ton-Ziegel des indonesischen Kollektivs Jatiwangi Art Factory, für die Nr. 12 vier Stühle aus Ai Weiweis Kunstprojekt „Fairytale“. Die Ausstellung wird immer wieder angepasst und aktualisiert, zuletzt 2023 von dem rumänischen Künstler Dan Perjovschi. Wer es also nie zur documenta geschafft hat: Hier sind alle Skandale, Sensationen und Reaktionen handlich zusammengefasst und aufgearbeitet. Wer mehr will, muss vor die Tür gehen: Kassel ist ein großes Freilichtmuseum und documenta-Kunst finden Sie an jeder Ecke.

Mit den 860.000 Besuchern der documenta kann nur noch die Biennale in Venedig mithalten. Alle fünf Jahre versammeln sich im hessischen Kassel Künstler, Kritiker und Kunstinteressierte. Das "Museum der 100 Tage" ist dabei immer wieder für Aufreger, Skandale und kuriose Aktionen gut.